Transmediale Awards '08
(art-magazin und transmediale news mashup)
Im Rahmen des Festivals „Transmediale.08“ wurden gestern die „Transmediale Awards“ und der „Transmediale Vilém Flusser Theory Award“ verliehen.
Gewinner des ersten Preises sind Julia Meltzer und David Thorne aus den USA. Ihre Videoarbeit “Not a Matter of if but When”
‚Not a Matter of If but When’, 2005 bis 2006 in Damaskus in Zusammenarbeit mit dem syrischen Tänzer, Performancekünstler und Filmemacher Rami Farah entwickelt, ist ein Versuch, Wortbedeutungen zu finden in einer Zeit, in der das Vokabular entleert erscheint: Welchen Sinn machen heute Begriffe und Konzepte wie Krieg, Frieden, Religion, Gerechtigkeit, Kampf und Freiheit? Obwohl Farahs Improvisationen fest innerhalb der politischen Situation Syriens verankert sind, welche nach einigen sehr turbulenten Jahren von Angst und Unsicherheit durchdrungen ist, reichen sie doch auch über seinen eigenen lokalen und nationalen Kontext hinaus. Farah schafft es, die Rhetorik der Angst und eines drohenden Unheils zu artikulieren, und zugleich eine vorsichtige Hoffnung auszudrücken. Sein Umgang mit Ironie als Ventil, als eine witzige Entlastung, fungiert als Überlebensstrategie und Selbst-Relativierung. Obwohl die Nahaufnahmen im Porträtformat von einer trügerischen Einfachheit sind, ist es sehr beeindruckend, wie der Körper des Darstellers die Rollen wechselt vom Machtausübenden zum Unterdrückten und letztlich zeigt, dass die Grenzen offen, unklar und unberechenbar sind. ‚Not a Matter of If but When’ ist ein zeitgemäßes Porträt, welches das wachsende Gefühl eines Unbehagens mit einer außer Kontrolle geratenen Welt zeigt.
Der zweite Preis (2500 Euro) ging an das österreichische Duo “Übermorgen.com” sowie an die Italiener Paolo Cirio und Alessandro Ludovico für deren gemeinsames Webprojekt “Amazon Noir – The Big Book Crime”.
‚Amazon Noir’ ist ein poetisches, mediales Statement, das zugleich Antworten gibt als auch neue Fragen aufwirft. Offensichtlich verweist es auf die Debatte um intellektuelles Eigentum und Anti-Copyright Kampagnen, indem es das Copyright bewusst verletzt: die ‚Amazon Noir’-Crew stahl urheberrechtsgeschützte Bücher bei Amazon.com, indem sie die ‚Search Inside’-Funktion des Internet-Buchhändlers ausnutzte. Mit ihrer Aktion und der dazugehörigen Installation (re-)materialisiert ‚Amazon Noir’ metaphorisch und physisch das, was gestohlen wurde. Mit der Entwicklung eines Hacks in das System des größten Online-Buchhändlers knüpft ‚Amazon Noir’ an wichtige künstlerisch-aktivistische Projekte der vergangenen Jahre an, unter anderem ‚walser.php’ von textz.com. Humor und eine an der Grenze zum Sarkasmus stehende Konspiration gehen hier jedoch noch einen Schritt weiter – das Projekt wird zu einer Art Streich, und man fragt sich, was hinter den Kulissen wirklich geschah, ob beispielsweise die Technologie tatsächlich umgesetzt worden ist. Der parodistische Charakter des Projektes, bei dem geistiger Diebstahl, Überproduktion, Selbstironie und Mehrdeutigkeit als Taktiken eingesetzt werden, ist ohne Zweifel auch ein Statement zu den Überlebensstrategien der Medienkunst, zu ihrem Handlungsspielraum in der Aufmerksamkeitsökonomie der Kunst.
Den dritten Preis (1500 Euro) bekam Gordan Savicic aus Wien.
‚Constraint City’ ist eine kritische Performance, die im urbanen Raum stattfindet. Man legt ein Korsett an, das mit motorbetriebenen Zugriemen und einer wifi-fähigen, tragbaren Spielkonsole ausgestattet ist. Die Motoren straffen die Riemen, wenn ein verschlüsseltes Wlan-Netz entdeckt wird, so dass das Korsett je nach Signalstärke immer enger wird und auf dem Körper des Trägers zunehmend Spuren hinterlässt. ‚Constraint City’ ist ein sarkastischer Beitrag zu Diskussion um ‚wearable und locative Media’. Daneben verortet es sein Autor zu Recht in der Tradition der Psychogeographie (oder, in seiner Version, der ‚Schizogeographie’), des Philosophierens um Lust und Schmerz und der Betrachtungen der ‚Freiheiten’ des Alltags. Die technische Notwendigkeit, das Korsett auf nacktem Oberkörper zu tragen, fügt eine unerwartete geschlechtliche Dimension hinzu. Das Objekt selbst führt ein neues Genre ein – eine Mischung aus Modegegenstand, High-Tech und Low-Tech, Selbsterfahrung, Sexspielzeug, Computerspiel und tragbarem Medium – zusammengewoben aus der Verbindung zu städtischer Architektur und Netzwerken sowie alltäglichen Handlungen und Gewohnheiten. Durch die neugierige Auseinandersetzung und die Vermischung aktivistischer und konsumistischer Bedeutungsebenen mit physischem Schmerz evoziert das Projekt eine große Zahl von emotionalen Antworten.
Zum ersten Mal wurde auch der „Transmediale Vilém Flusser Theory Award“ für ein konzeptuelles Werk verliehen. Ihn erhielt Simon Yuill aus Großbritannien.
Simon Yuill (uk): All problems of notation will be solved by the masses: Free Open Form Performance, Free/Libre Open Source Software, and Distributive Practice (2008)
Simon Yuills Text verschränkt Geschichten künstlerischer Praxis und experimenteller Projekte – wie die des Scratch Orchestra, der Black Artists‘ Group, hacklabs, livecoding und Logo Labs, sowie die Geschichte von UNIX and FLOSS – miteinander, um Auswege aus dem gegenwärtigen Dilemma der ‚Kapitalisierung der Kreativität‘ und dem Druck zur ständigen ökonomischen Verwertbarkeit von Praktiken aufzuzeigen, deren Ziel es eigentlich war, Alternativen zu den kapitalistischen Systemen von Eigentum, Macht und Legitimation aufzubauen. Der kommerzielle Erfolg von FLOSS Produktionsmodellen und ihre ‚freudige‘ Eingliederung in zeitgenössiche Formen digitaler Ökonomie, die einher geht mit der Kapitalisierung von Kommunikation, Zugriff und Kreation, ergibt ein monotones Bild der ‚totalen‘ Vereinnahmung. Es wird meist durch einen Filter aus Begriffen des autonomen Marxismus und verschiedener disziplinarischer Kategorien – insbesondere Ökonomie und Gesetz – betrachtet.
Yuill dagegen schlägt eine kulturkritische Herangehensweise an diese drängende Problematik vor. Sein zentrales Anliegen erstreckt sich von der Lesart von Liveauftritten, des Unvorhergesehenen, von kollaborativen und distributiven Praktiken bis hin zum Verständnis der Produktion und Politik von Richtlinien, welche eine Basis für sich abzeichnende Parallelen zwischen Open Source Modellen in der Softwareproduktion und experimentellen Modellen in der Kunstpraxis herstellen. Yuills tiefgründige Untersuchung antwortet deterministischen Projekten mit künstlerischer Eleganz. Er konzentriert sich auf Experimente mit Improvisation, ‚Lärm‘ und Kollektivität, um die Alternativen an der Schnittstelle von Kunst, Open Source-Prinzipien, ihren Vorschriften und ihrem Wandel auszubreiten.
Insgesamt hatten sich 1117 Medienschaffende aus 57 Ländern beworben. Das Festival ging gestern zu Ende, die dazu gehörende Ausstellung “Conspire” im Haus der Kulturen der Welt ist bis zum 24. Februar geöffnet.