Polnischer Kurzfilm – Eine Retrospektive

Mittwoch, 25.01.2006, 21.00 und
Donnerstag, 26.01.2006, 21.00

POLNISCHE KURZFILM – EINE RETROSPEKTIVE
im Club der Polnischen Versager

Klassik der Animation:

1. Das Haus/Dom – Walerian Borowczyk und Jan Lenica, 1958, 12 Min.
Das letzte gemeinsame Werk von Jan Lenica und Walerian Borowczyk, die hier stark von der französischen Avantgarde der Zwanziger Jahre beeinflusst wurden. Statt einer konventionellen Spielhandlung sieht man eine Reihe Szenen aus den Räumlichkeiten eines Jugendstilmietshauses. In einem Zimmer erweckt eine Perücke zum Leben und trinkt Milch aus einer Flasche, in einem anderen kämpfen zwei Schwerte aus alten Fotographien, in einem weiterem küsst eine Frau ein Mannequin.
2. Das Labyrinth/ Labirynt – Jan Lenica, 1962, 15 Min.
Ein fliegender Mensch gerät in eine fremde Stadt voll bizarrer Häuser, deren Bewohner das Aussehen von Vögeln und Reptilien angenommen haben. Die Stadt wird zu einem surrealen Labyrinth, in der dieser Mann versucht, sich zurechtzufinden. Lenica arbeitet mit ausgeschnittenen und kolorierten Fotografien und Grafiken aus der Jahrhundertwende und kreiert mit seiner Collagetechnik die kafkaeske Atmosphäre einer durchorganisierten, futuristischen Gesellschaft.
3. Rot und Schwarz/ Czerwone i Czarne – Witold Giersz, 1963, 7 Min.
Die Geschichte eines Stierkampfs, der in einem berauschenden Zusammenspiel von Farbe, Licht und graphischen Ideen verbildlicht wird.
4. Hobby – Daniel Szczechura, 1978, 7 Min.
Eine Groteske über weibliche Eroberungssucht. Ein Film über Frauen, die naive Männer in Käfigen festhalten, über Freiheit und Gefangenschaft.
5. Alles in Zahlen/ Wszystko jest liczba – Stefan Schabenbeck, 1966, 8 Min.
Ein Individuum wird mit einem Wirrwarr an Zahlen und geometrischen Formen konfrontiert, vor dem er vergeblich versucht zu fliehen. Er kämpft gegen die Welt der Ziffern, wird aber letztendlich selber eine „Nummer Eins“, die in der anonymen Masse verschwindet.
6. Das neue Buch/ Nowa Ksiazka – Zbigniew Rybczynski, 1975, 10 Min.
Die Abenteuer eines Buches und seiner wechselnden Besitzer werden gleichzeitig auf verschiedenen Leinwandausschnitten dargestellt. Es ist ein Versuch, ein alltägliches Erlebnis aus unterschiedlichen Perspektiven und in neuen Formen darzustellen.
7. Käfige/ Klatki – Miroslaw Kijowicz, 1966, 8 Min.
Ein Mensch hinter Gittern langweilt sich. Der Wächter bringt Holzstücke zum Spielen, doch die geformten Figuren wecken die Eifersucht des Wächters. Die Beziehung zwischen dem Gefangenen und seinem Wächter stellt den Konflikt zwischen dem Individuum und dem System dar, doch Macht ist oft illusorisch – wer ist tatsächlich frei?
8. Polnische non-camera Chronik Nr. 1/ Polska Kronika non-camerowa nr 1 – Julian Antonisz. 1981, 10 Min.
Die erste Ausgabe einer animierten Chronik, die nach Vorbild von Filmchroniken, die wichtigsten Nachrichten aus dem Land und aller Welt enthält. Unter anderem wird das „Geheimnis der U-25“ aufgedeckt, die „Situation im Weltall“ wird erläutert und der „sensationelle Fotoplastikon“ wird abgebaut.
9. Die Sanfte/ Lagodna – Piotr Dumala, 1985, 12 Min.
Eine freie Interpretation der gleichnamigen Novelle von Fjodor Dostojewski. Es geht um Leid und Verzweiflung, Eifersucht und Hass; Ein alter Mann sitzt neben der Leiche einer jungen Frau und rekapituliert das Drama ihrer kurzen Beziehung, die durch den Selbstmord seiner Geliebten zu Ende kam. 10. Tango – Zbigniew Rybczynski, 1980, 8 Min. Dieser Oscar-Preisträgerfilm basiert auf einer statischen Kameraeinstellung. Sie zeigt einen Raum, in dem diverse alltägliche Handlungen stattfinden. Ein Junge mit einem Luftballon, ein verliebtes Paar, eine alte Dame, ein Hund, ein Trinker, ein Sportler – sie alle wiederholen die ihren zugeschriebenen Tätigkeiten, dauernd kreuzen sich ihre Wege und dennoch treffen sie sich nie. Ganz langsam verschwindet eine Figur nach der anderen, der Verlust kaum bemerkbar, bis nur die alte Dame übrig bleibt. Begleitet wird das Schauspiel von Tangomusik.

Klassik des Dokumentarfilms:

1. Der Rattenfänger/ Szczurolap – Andrzej Czarnecki, 1986, 22 Min.
Die Geschichte eines Mannes, der als professioneller Rattenfänger seinen Lebensunterhalt verdient. Anhand eines Beispiels stellt er seine Arbeitsmethoden vor, die nach seinen eigenen Angaben sehr raffiniert sein müssen, denn Ratten sind raffinierte Tiere. Besonders die Bilder hinterlassen nach diesem Film einen starken Eindruck.
2. Wanda Gosciminska; Baumwollspinnerin/ Wanda Gosciminska; Wlókniarka – Wojciech Wiszniewski, 1975, 22 Min.
Portrait einer Baumwollspinnerin aus Lodz, die den Mythos einer Heldin der Arbeit verkörpert. Wanda Gosciminska wurde in den Fünfzigern durch die kommunistische Propaganda das Gesicht der Baumwollspinnindustrie. Wojciech Wiszniewski demaskiert die ideologischen Mechanismen, durch die ein Mensch nicht länger als Mensch galt, sondern dazu diente, Zwecke der Manipulation zu verfolgen. Wanda Gosciminska repräsentierte eine Ideologie, und auch Jahre später kann sie sich nicht von ihrer medialen Vergangenheit als Heldin der Arbeit trennen.
3. Zuckerwürfel/ Kostka cukru – Jacek Blawut, 1987, 9 Min.
Eine Reportage über das Pferderennen „Wielka Pardubicka“. Ein Blick hinter die Kulissen wird uns gewährt, zu sehen ist nicht nur die Anstrengung des Rennens, sondern das Schicksal der Pferde – ihre Furcht, Müdigkeit, die Verletzungen die oft tödlich sind. Blawut experimentiert mit Kontrasten; Schwarzweißfilm und Farbe, Stille und lautes Geschrei sind die Essenz dieser Dokumentation.
4. Geburt eines Schiffes/ Narodziny Statku – Jan Lomnicki, 1961, 9 Min.
Die letzten Schritte der Montage eines Schiffs in der Danziger Werft und ihr Stapellauf.
5. Weine nicht/ Nie placz – Grzegorz Królikiewicz, 1972, 9 Min. Der Abschied vor der Abreise zum Militärdienst. Der Dokumentarfilm zeigt die letzten gemeinsamen Stunden der Eingezogenen mit den „freien“ Jungs. Am Bahnhof ist die Atmosphäre voller Spannung, Frustration und Nostalgie, das Ende der Freiheit wird zu einem Initiationsritual. Die Premiere des Films fand erst nach 1989 statt.
6. Die Musikanten/ Muzykanci – Kazimierz Karabasz, 1960, 10 Min.
Ein Klassiker des polnischen Dokumentarfilms; Eine Amateurblechblaskapelle von Straßenbahnfahrern probt für ihren Auftritt.
7. Arbeitende Frauen/ Kobiety pracujace – Piotr Szulkin, 1978, 6 Min.
Eine Reihe von kurzen Szenen, die die schwierige und monotone Arbeit von Frauen veranschaulichen.
8. Grundschule/ Szkola Podstawowa – Tomasz Zygadlo, 1971, 24 Min.
In diesem Film werden Interviews mit Kindern aus der Grundschule durchgeführt. Aus ihren Aussagen erhält man ein äußerst kritisches Bild der Erziehungsmethoden, die in den Schulen herrschen.
9. Mikrofontest/ Próba mikrofonu – Marcel Lozinski, 1980, 20 Min.
Ein Warschauer Journalist ist verantwortlich für das Programm des Betriebsradios in einer Kosmetikfabrik. Er nimmt seine Aufgabe ernst, und als er Interviews mit seinen Mitarbeitern durchführt, stellt er ernste Fragen. Die Antworten schockieren die Leitungsebene, die Welt des Fließbandarbeiters gerät in Konflikt mit den Lügen von oben.
10. Sprechende Köpfe/ Gadajace Glowy – Krzysztof Kieslowski, 1980, 16 Min.
Kieslowski spricht mit Polen, über ihre Wünsche, was für sie wichtig ist, wer sie sind oder wer sie werden möchten. Gezeigt wird das Ganze in chronologischer Reihenfolge – zuerst sehen wir einen Einjährigen, am Ende eine 99-Jährige Dame. Man ist Zeuge davon, wie sich menschliche Träume und Vorstellungen mit dem Alter verändern.

Der Dokumentarfilm heute:

1. Bar an der Victoria Station/ Bar na Victorii – Leszek Dawid, 2003, 56 Min.
Leszek Dawid befasst sich mit einem Problem, das viele Polen seit Jahren plagt – sie reisen ins Ausland mit der Hoffnung auf Arbeit, kennen die Sprache aber nicht und sind sich nicht bewusst was sie erwartet in ihrem Land der Träume. Die Helden dieses Films sind zwei junge Männer aus einem Dorf nicht weit von Opole, die in London ein neues Leben anfangen wollen. Ihr Abenteuer beginnt an der Victoria Coach Station.
2. Schwestern/ Siostry – Pawel Lozinski, 1999, 12 Min.
Eine Viertelstunde aus dem Leben zwei älterer Damen, der Titelgebenden Schwestern.
3. Ich habe einen wunderschönen Sohn zur Welt gebracht/ Takiego pieknego syna urodzilam – Marcin Koszalka, 1999, 25 Min.
Ein intimes und auch schockierendes Portrait einer Familie. Marcin Koszalka filmt sein Zuhause; Seine Mutter, ewig mit einer Zigarette in der Hand, erniedrigt ihn und seinen Vater, der wiederum beschuldigt seinen Sohn der übelsten Taten. Eine provokative Verfilmung einer entfremdeten und alles andere als liebevollen Familie.
4. Film des Lebens – Pawel und Ewa/ Film Zycia – Pawel i Ewa – Michal Rogalski, 2002, 55 Min.
Das Dokument stellt eine Familie vor, die einen Bauernhof betreibt. Ihr Hof ist der ärmste im ganzen Dorf. Der Asthmakranke Pawel hat gesundheitliche Probleme seit einem Autounfall und seine Familie ist gezwungen von seiner mageren Rente zu leben. Trotz allem führen sie ein glückliches Leben, trotz ihrer finanziellen Probleme sind sie optimistisch und können den Alltag mit einem Lächeln bewältigen.
5. Geheime Aufnahmen des Sicherheitsdienstes/ Tajne Tasmy SB – Piotr Morawski, 2002, 32 Min.
In 2001 wurden in den Archiven des Amtes für Staatsicherheit alte Filmaufnahmen entdeckt. Es stellte sich heraus, dass es sich um Kassetten der polnischen SB handelt, die aus irgendeinem Grund nicht zerstört worden sind, wie die meisten Filmmaterialien des Sicherheitsdienstes. Das Autoren dieses Films haben ehemalige Mitarbeiter der SB eingeladen, die Bilder zu kommentieren. Man sieht unter anderem die wichtigsten Mitglieder der damaligen Opposition wie Jacek Kuron, Adam Michnik oder Antoni Pajdak, die im Auftrag des Staates heimlich gefilmt wurden.
6. Das Land in dem ich geboren wurde/ Kraj urodzenia – Jacek Blawut, 2002, 27 Min.
Radek, ein junger arbeitsloser Universitätsabsolvent, wird Volkszähler. Zusammen mit ihm lernen wir die Bewohner einer Kleinstadt kennen. Sie teilen ihm Geheimnisse mit, sprechen mit ihm über alltägliche Probleme, überraschen ihn auch mit ihren Geschichten. Vielleicht kann man so das Land in dem man geboren wurde entdecken.

Das alles im:
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